Seuche oder nicht

Über die sog. „Haarseuche“ beim Rehwild

 

Blankgescheuerter Lauscher Quelle: Dr.Tucholke
Krankheitsbild beim Träger Quelle: Dr.Tucholke

 

 

Auch nach vielen Jahren Jagdpraxis gibt es immer mal wieder Situationen, die einem Kopfzerbrechen bereiten und in denen man verzweifelt in den (Un-)Tiefen der Erinnerung an die Jägerausbildung kramt. Besonders, wenn man Anblick hat, der eine schnelle Entscheidung fordert.

Ich will von einer Haarerkrankung beim Rehwild berichten, die im vergangenen Jagdjahr vermehrt im Revier Embsen aufgetreten ist. Zum Aufgang der Jagd auf Rehböcke und Schmalrehe am 1. Mai sind mehrere Stücke zur Strecke gekommen, die krankhafte, zum Teil großflächige Veränderungen in der Decke aufwiesen, die nicht mit dem normalen Haarwechsel (Verfärben) in dieser Jahreszeit erklärbar waren. Es handelte sich um Kahlstellen am Träger, Haupt und den Flanken, bei denen die Haare oberhalb der Haarwurzel abgebrochen und teilweise überhaupt kein Haar mehr vorhanden war und die blanke Haut schwarz offen lag (siehe Fotos). Zum Glück brauchten die Erleger nicht mehr abzuwägen, ob der Anblick einen Hegeabschuss rechtfertigt – es war ja Jagdzeit und bei den Stücken handelte es sich durchweg um schwache Jährlingsböcke und Schmalrehe. Aber was dann? Kann ich das anfassen, ohne mich selbst zu infizieren? Darf ich den Hund da ranlassen? Kann das eine Seuche sein? Wenn ja, welche? Und: Anzeigepflicht, Sicherstellungspflicht, Fernhaltepflicht und wie beseitigen?

Eine Frage war jeweils schnell beantwortet: Wildbret genussuntauglich! Die Stücke waren alle stark abgekommen, bzw. unterentwickelt (8-10 kg a.m.H.) mit Störung des Allgemeinbefindens (starker Juckreiz) und somit als bedenklich einzustufen.

Aber was ist das für eine Erkrankung? Erste und naheliegende Vermutung: Räude. Fehlanzeige! Erstens bei Rehen nahezu unbekannt und zweitens wäre bei Räude die Haut verschorft und man könnte durch Grabmilben (Sarcoptes) verursachte Veränderungen im Hautgewebe nachweisen. Also die Decke sichergestellt und nach Verden zum Veterinäramt gebracht. Das Untersuchungsergebnis aus Hannover (LAVES, Dr. Kleinschmidt) lautete: Keine parasitäre Ursache. Weiterführende Untersuchungen wurden nicht durchgeführt.

Also weiter forschen – in der heutigen Zeit mit den Möglichkeiten des Internets wesentlich einfacher als früher, als man sich durch die Bestände der Uni-Bibliothek kämpfen musste. Schnell stellte sich heraus: Das Krankheitsbild ist nicht neu und die einschlägigen Internet-Foren voll mit Fotos und teilweise abenteuerlichen „Diagnosen“. Aber zum Glück haben auch seriöse Autoren das Thema aufgegriffen. So vermutete H. Wiesner [1] eine Stoffwechselstörung durch sekundären Zinkmangel, hervorgerufen durch Aufnahme von Cadmium oder einseitige (Mangel-)Ernährung durch Raps im Winter. Bei Cadmium läuten natürlich erstmal sämtliche Alarmglocken: Frühjahr, massenweise Ausbringung von Gülle im Februar, Schwermetallbelastung – oh, oh…. Abhilfe sollen Minerallecksteine mit den benötigten Spurenelementen Zink, Kupfer und Selen bringen. In [2] beschreibt W. Lutz Untersuchungsergebnisse von Rehen mit flächigem Haarausfall aufgrund eines Befalls mit Demodex-Milben und stellt auf Umweltfaktoren und indirekte Folgen des Einsatzes bestimmter Pflanzenschutzmittel (Glyphosat) ab, weist aber auch auf die Notwendigkeit der Einregulierung des Wildbestandes hin. Die letztlich für mich sinnfälligste Erklärung liefern Deutz, A. und Messner, C. in [3] und [4] durch die Beschreibung massenhaften Befalls mit bestimmten Ektoparasiten (Haarlinge, Hirschlausfliegen). Das stimmt mit unseren Beobachtungen überein – die Stücke saßen „steif voll“ damit, besonders in den Achselhöhlen. Die Folge: Juckreiz und ständiges Kratzen mit den Hinterläufen an Träger und Haupt, zum Teil bis auf die blanke Haut. Durch die ständige Unruhe sind die Stücke stark beeinträchtigt und kommen ab. Wenn man berücksichtigt, dass es in den letzten Jahren keine richtigen Winter mehr gegeben hat, ist leicht nachvollziehbar, dass es schnell zu einem Massenbefall kommen kann – der aber eben keine „Seuche“ im eigentlichen Sinn ist. Und da wir unser Schalenwild ja schlecht mit Zeckenhalsbändern oder Spot-On Lösungen behandeln können, bleibt nur der Ratschlag, den alle genannten Autoren gegeben haben: Abschuss aller erkrankten Tiere und darüber hinaus beherzter Eingriff in den Gesamtbestand.

Interessant zu erfahren wäre, ob ähnliche Fälle aus anderen Revieren bekannt sind und ob es regionale Häufungen gibt.

Autor: Dr. Uli Tucholke

[1] Wiesner, H.: Haarparakeratose, in Gabrisch/Zwart (Hrsg.) Krankheiten der Wildtiere, Schlütersche 1987, S.483

[2] Lutz,W. Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadensverhütung am LANUV-Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW: Warum Rehe krank werden – und wie man Ihnen helfen kann. In „Rheinisch-Westfälischer Jäger“, 5/2015

[3] Deutz, A., „Haarseuche“ bei Rehen, in Schweizer Jäger, Heft 8/2013, S. 62

[4] Messner, C.: Spätwinterliches Haarbruchsyndrom, in Jagd in Tirol, Heft 3/2018, S.22