VON HEINRICH KRACKE
Heidekreis – Noch liegt das Ergebnis nicht in Papierform vor, noch nicht als dicker Stapel mit haargenauen Details, aber die Vorausmeldung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin, ein schlichter Anruf, er führt zu einer bemerkenswerten Kehrtwende im Fall des Wolfsfundes von Wesseloh in der Nähe Schneverdingens. „Demzufolge ist das Tier nicht einer Schussverletzung erlegen“, sagt Stefan Nilles vom Wolfsbüro des niedersächsischen Umweltministeriums, „es ist Opfer eines Verkehrsunfalls.“ Das ministerielle Wolfsbüro und das Wolfsmonitoring der Landesjägerschaft haben daraufhin ihre Totfund-Listen korrigiert.
Der verendete Wolf hatte heftige Reaktionen weit über die Heidekreis-Grenzen hinaus ausgelöst, sowohl bei Jägern als auch bei Umweltschutz-Organisationen, bei Befürwortern des Wolfs wie bei dessen Gegnern (wir berichteten).
Die wichtigsten Ergebnisse der Obduktion lägen ihm als Stichworte vor, sagt Nilles. Die Wunde, die zunächst als Einschussloch bewertet wurde, sie sei nur von oberflächlicher Natur. Der Schädel indes weise eine Haarriss-Fraktur auf. Das seien Indizien für einen Verkehrsunfall, so Nilles. Und ganz unten auf seinem Zettel stehe: Bitte nächstes Mal nicht so früh Todesursachen bekannt geben. Der langjährige Mitarbeiter des Wolfsbüros nimmt die Falschinterpretation mit Humor: „Ich bin hier nicht für Enten zuständig, sondern für den Wolf.“
Gewiss, die Obduktionen aus dem Berliner Institut fallen nie schwarz oder weiß aus, es komme immer zu Zwischentönen, das sei wohl auch in diesem Fall zu erwarten, aber die Einzelanalysen fallen exakt aus, so viel stehe fest. „Da wird dann genau zu lesen sein, welcher Aufprall von welcher Seite erfolgte, woran sich das Tier zuletzt gelabt hat und wie viele Parasiten wo zu finden waren,“ so Nilles, „die Berliner haben dafür einen Super-CT.“
Die Vorgänge aus dem fernen Schneverdingen hatten Kreise bis in die Region Verden gezogen. Insbesondere echauffierte sich wie berichtet Kreisjägerschaftsvorsitzender Jürgen Luttmann. Er habe sich gegen einen Generalverdacht stellen wollen, sagt er, vergangene Woche, als noch die Schussverletzung im Raum stand. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet. Luttmann: „Die Wolfspopulation wäre zuletzt nicht um 20 bis 30 Prozent gestiegen, wenn sich die Jägerschaft nicht an die gesetzlichen Vorgaben hält.“
Auch die Tierschutzorganisation Peta reagierte inzwischen. Vor einer Woche hatte sie noch eine Belohnung auf die Ergreifung des Täters ausgesetzt, jetzt klingt die Einschätzung moderater. „Generell prüfen wir bei Belohnungsauslobungen zunächst sorgfältig, ob eine Straftat vorliegt. Laboruntersuchungen, die jedoch teils erst nach Wochen oder Monate neue Erkenntnisse ergeben, können aber auch zu einer völlig neuen Bewertung der Sachlage führen. Dies geschieht äußerst selten“, erklärt Peter Höffken, Leiter des Kamgpanenteams der in Stuttgart ansässigen Organisation. Gemäß der Statistik der Beratungsstelle Wolf des Bundes seien illegale Tötungen die zweithäufigste Todesursache von Wölfen in Deutschland – nach Verkehrsunfällen. Die Dunkelziffer dürfte, so Höffken, wesentlich höher sein.
Laut einem Pressebericht zu diesem konkreten Fall habe der Wolfsberater der Bundesforsten Bergen/Munster ein Einschussloch bei der Inaugenscheinnahme des toten Tieres entdeckt. „Dies war für uns ein ausreichender Anlass für die Auslobung einer Belohnung. Wir hatten zudem vorab bei der Polizeidienststelle Schneverdingen die Zuständigkeit für die Angelegenheit telefonisch geklärt“, so Höffken weiter. Angesichts der neuen Entwicklung ziehe man die Belohnungsauslobung zurück.
Jagdpächter Hans-Hermann Steiger aus dem Schneverdinger Vorort Wintermoor reagiert erleichtert auf die Nachricht, sagt er auf Nachfrage. „Dann steht ja immerhin fest, es war kein Jäger, der hier versucht hat, Fakten zu schaffen.“ Das habe am Neujahrstag noch völlig anders ausgesehen. Spaziergänger hatten das verendete Tier unweit eines Weges in einem Waldgebiet zwischen Fichten und Kiefern entdeckt. Der alarmierte Jagdaufseher, langjährig und zuverlässig im Revier Eggersmühlen unterwegs, so Steiger, sei der erste Fachmann am Ort gewesen. Schon dessen Einschätzung zielte auf Abschuss hin. Man habe Fotos von dem Tier gemacht, auch von der Wunde, die sich nur unscheinbar ausgebildet hatte, und erst auf leichten Fingerdruck Flüssigkeit abzusondern begann, und diese Bilder anderen Jägern gezeigt. „Alle sprachen sofort von einem Einschuss“, sagt Steiger, „da gab es keine zwei Meinungen.“ Erhärtet wurde der Verdacht durch die Lage der Verletzung. Weit hinten am Tier und relativ hoch. „Das deutete nicht auf Verkehrsunfall hin.“
Straßen mit Autos, die relativ schnell unterwegs sind, Trassen mit Unfallgefahren jedenfalls, sind im Raum Wintermoor/Wesseloh eher rar. „Die nächste Straße, wenn man sie als solche bezeichnen will, liegt mindestens 300 Meter entfernt.“ Allerdings wisse man aus anderen Fällen, dass sich verletzte Tiere manchmal kilometerweit schleppen, ehe sie verenden. Eine unklare Lage also. Aussagefähiger da schon eine eventuelle Reaktion von Autofahrern. Normalerweise melden sich Fahrzeughalter, haben sie mit ihrem Wagen ein Wildtier angefahren, aus versicherungstechnischer Sicht schon, melden sich bei Jagdpächtern oder Polizei. „Da ist mir nichts zu Ohren gekommen“, so Steiger.
Das verendete Tier war vor Ort nicht sonderlich inspiziert worden. Es wanderte in eine Kühlbox, und die landete im Leibniz-Institut. Gut möglich allerdings, dass das Tier in den Heidekreis zurückkehrt. Wolfs-Verantwortlicher Nilles: „Das IZW bietet an, den Kopf besonders zu präparieren und ihn dann dem jeweiligen Landkreis zur Verfügung zu stellen.“ Das meist mächtige Haupt könne dann ausgestopft und im Museum ausgestellt werden.