Achim-Embsen – „Können wir nicht auch was mit Drohnen machen?“ Mit dieser Frage der Embser Landwirte an ihre Jagdpächter kam der Stein ins Rollen. Bei ihren Jägern rannte die Jagdgenossenschaft, wie der Zusammenschluss der Landeigentümer genannt wird, offene Türen ein. „Das können wir, das sollten wir, und das werden wir – wenn ihr mitzieht.“ So die Reaktion von Jagdpächter Dr.Ulrich Tucholke, im Übrigen auch Autor dieses Textes.
Als erfahrener Ingenieur weiß er ebenso um die Risiken solcher Vorhaben. So ein technisch aufwändiges Projekt zieht man nicht mal eben „mit der Hand am Arm am Freitagnachmittag durch“. Und es wäre nicht das erste Mal, dass Anfangseuphorie in Ernüchterung umschlägt, wenn der Erfolg ausbleibt.
Jährlich sterben tausende Rehkitze und andere wildlebende Tiere einen grausamen Tod durch Mähwerke bei der Grasernte, weil sie sich instinktiv ins hohe Gras drücken, statt bei nahender Gefahr zu flüchten. Sie wurden vom Muttertier allein zurückgelassen. Die Ricke kommt nur zwei Mal am Tag zurück, um ihre Kitze zu säugen. Sie ist aber immer in der Nähe auf Wachposten, um andere Gefahren von ihren Kindern fernzuhalten. Denn auch die Fuchsfähe hat zu dieser Jahreszeit viele hungrige Mäuler zu stopfen – und die fressen nun mal kein Gras.
Der Zeitpunkt des ersten Grasschnitts fällt genau in die Frühlingswochen, in der die meisten Wildtiere ihre Jungen bekommen oder auf dem Nest sitzen und ihr Gelege ausbrüten. Bei den Maschinen, die in der modernen Landwirtschaft zum Einsatz kommen, haben sie keine Chance, wenn das Mähwerk über sie kommt. Nach dem Verursacherprinzip ist jeder Landwirt verpflichtet, vor der Grasmahd seine Flächen abzusuchen und sicherzustellen, dass keine Wildtiere verletzt oder getötet werden.
Dies ergibt sich aus dem Grundgesetz, in dem der Tierschutz Verfassungsrang hat, aus dem Tierschutzgesetz, der Hegeverpflichtung der Inhaber des Jagdrechts, was die Landwirte sind, nach dem Bundesjagdgesetz und dem Bundesnaturschutzgesetz, nach dem es verboten ist „wildlebende Tiere mutwillig zu beunruhigen oder ohne vernünftigen Grund zu verletzen oder zu töten“.
An dieser Stelle kommen die Jäger ins Spiel. Sie sind aus ihrem jagdethischen Selbstverständnis heraus bereit, die Landwirte bei ihrer Pflicht zum Absuchen der Flächen zu unterstützen. Das haben sie auch schon gemacht, als es noch keine Drohnen mit Wärmebildtechnik gab. Da wurden die Flächen mit Helfern und Hunden am Vorabend abgesucht, es wurden Flattertüten aufgestellt, Transistorradios an Pfähle gebunden, Warnsirenen an Mähwerke angebaut und manches mehr – aber es half nur bedingt. Immer noch wurden Rehkitze totgemäht.
Der Einsatz von Drohnen mit Wärmebildtechnologie ist ein Quantensprung. Die Anzahl und Größe der Flächen, die man mit einer Drohne unmittelbar morgens vor der Mahd absuchen kann, ist im Vergleich zu früher um ein Vielfaches größer. Eine echte Win-Win-Situation für Landwirte, Jäger und die Tierwelt.
Billig ist das Ganze allerdings nicht. Die eingesetzte Drohne vom Typ DJI Mavic 3T ist kein Spielzeug, sondern richtiges Werkzeug. Das Projektvolumen für die Anschaffung der Drohne mit dem nötigen technischen Zubehör und ehrenamtlichen Arbeitsstunden beläuft sich auf über 10 000 Euro. Realisieren konnte die Jagdgenossenschaft Embsen das auch dank der Förderung durch die niedersächsische Bingo-Umweltstiftung, die das Projekt mit über 4 000 Euro finanziell unterstützt. Den Rest steuert die Jagdgenossenschaft aus Eigenmitteln bei.
Aber Geld allein rettet noch keine Rehkitze. Drohnen sind Luftfahrzeuge – es müssen Kompetenznachweise beim Luftfahrtbundesamt (LBA) erworben und Versicherungen abgeschlossen werden, die Drohne muss beim LBA registriert, ein „Nummernschild“ angefertigt und angebracht werden, es muss Zubehör angeschafft und eine Helferschar rekrutiert werden und vieles mehr.
Das Wichtigste aber ist und bleibt die Kommunikation mit den Landwirten, die Abstimmung der Mähtermine und die Koordination der Helfer – ohne die geht gar nichts. Wenn der Drohnenpilot oder die Pilotin eine Wärmequelle auf dem Bildschirm entdeckt hat, müssen die Helfer mit Funkgeräten zum Fundort dirigiert werden, um das Kitz zu sichern. Damit die Landwirte unterbrechungsfrei durchmähen können, hat sich die Genossenschaft dazu entschlossen, gefundene Kitze nicht am Fundort abzudecken, sondern aus den Flächen herauszutragen und am Rand im Schatten unter speziellen Körben zu fixieren. Das hat sich sehr bewährt. Ist der Landwirt mit dem Mähen fertig, werden die Kitze wieder freigelassen. Meist wartet die Ricke schon in der Nähe, und einige Male haben wir beobachtet, wie sie sich zwischenzeitlich an den Körben zu schaffen machte.
Die Technik der Drohne ist komplex und es erfordert Dutzende von Trainingsstunden, um sich mit den zig Parametern vertraut zu machen, die man für den Flug einstellen kann. Im Hinterkopf schwingt immer mit: Wenn du was falsch machst und das Ding kommt runter, sind mal eben 5 000 Euro Schrott. Zum Glück besteht für das erste Jahr eine Vollkaskoversicherung.
Bei aller Komplexität muss man das Rad aber auch nicht neu erfinden. So konnte die Jagdgenossenschaft viel von Sarah Meyer vom Verein Rehkitzrettung Fischerhude lernen, als sie mit ihrem Team vor zwei Jahren in Embsen im Einsatz war.
Helfer gab es nun, in der Premierensaison, genug. Nicht nur die Embser Jäger waren vor Tau und Tag zur Stelle, es zogen auch andere motivierte Frühaufsteher mit: die Landwirte selbst, Familienangehörige und Idealisten, die das, was wir da machen, „einfach toll“ finden.
Wenn man ein gerettetes Rehkitz in den Händen hält, weiß man, wofür man um 4 Uhr aufgestanden ist. Auch die Resonanz von Spaziergängern, die früh im Embser Bruch unterwegs waren, fiel positiv aus: „Ach so, die Jäger schießen also nicht nur tot.“
In der Zeit vom 12. bis 25. Mai konnte die Jagdgenossenschaft bei sieben Einsätzen im Revier Embsen 14 Rehkitze retten. Hierfür flogen Aktive 41 Grünlandflächen von 9 landwirtschaftlichen Betrieben mit insgesamt 100 Hektar Grünland mit der Drohne ab. Es gab aber auch Rückschläge: Am zweiten Einsatztag war es nach drei Stunden schon so warm, dass die Wärmequellen der Kitze von aufgeheizten Maulwurfshaufen nicht mehr zu unterscheiden waren. „Wir haben sie übersehen, und zwei Kitze mussten unsere Unerfahrenheit mit dem Leben bezahlen“, bedauert Tucholke.
Das Erste, was die Gruppe beim „Jungfernflug“ mit der Drohne im Gras aufgespürt hatte, war übrigens kein Rehkitz, sondern eine Fasanenhenne auf ihrem Gelege. Darauf war keiner vorbereitet. Ein frühes Telefonat mit Daniel von Salzen, Leiter des Achimer Bauhofes, Ortsbrandmeister in Embsen und Geflügelzüchter, brachte die Lösung. Er hat eine Brutmaschine, in die die 13 Eier aus dem Gelege gebracht wurden. Den mittlerweile geschlüpften Küken geht es gut.