VON REIKE RACZKOWSKI
Dörverden – Der eine verdient seinen Lebensunterhalt mit Schafen, der andere mit Wölfen. Kann man unter diesen Umständen überhaupt ein vernünftiges Gespräch miteinander führen? Man kann durchaus. Jörk Hehmsoth, der letzte Berufsschäfer im Landkreis Verden, und Frank Faß, Besitzer des Wolfcenters in Dörverden-Barme, pflegen nicht nur einen zivilisierten Umgang miteinander:
Über die Jahre, seit der Wolf nach Niedersachsen zurückgekehrt ist, sind die beiden sogar Freunde geworden.
„Wir haben uns 2013 kennengelernt, auf einer Informationsveranstaltung zur Rückkehr des Wolfes. Wir sind nach der Veranstaltung offen aufeinander zugegangen, ins Gespräch gekommen – und seitdem im Gespräch geblieben“, sagt Frank Faß. Der Wolfsexperte und der Schäfer tauschten sich regelmäßig miteinander aus und stellten fest: Ihre Meinung zum Umgang mit freilebenden Wölfen ist nahezu deckungsgleich.
Hehmsoth, 55 Jahre alt und wohnhaft in Langwedel-Nindorf, nennt insgesamt fast 2000 Heidschnucken, Schafe und Ziegen sein Eigen. Fünf Gruppen seiner Tiere sind derzeit auf Deichen im Landkreis Verden „stationiert“, eine Hüteherde grast auf Naturschutzflächen, in Moor und Heide oder auf Sandtrockenrasen. Auftraggeber sind zumeist Deichverbände, das NLWKN oder der Landkreis. „Ich habe das mal als Hobby mit vier Heidschnucken angefangen”, sagt Hehmsoth. Zu der harten Arbeit ist mit dem Wolf in den letzten Jahren eine zusätzliche Herausforderung dazu gekommen.
„Mir ist bisher noch kein Tier gerissen worden“, erzählt der Mann mit dem Hut, dem Bart und den langen Haaren. „Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen betreibe ich einen immensen, auch finanziellen Aufwand, um die Tiere mit Elektrozäunen zu schützen. Zum anderen habe ich bisher sicher auch einfach Glück gehabt.” Denn der – streng geschützte – Wolf ist nun mal da, und er reißt zuweilen Nutztiere. Das weiß Hehmsoth genau, weil viele seiner Berufskollegen bereits Schafe auf diese Weise verloren haben. „Da gruselt es mir vor, ist doch ganz klar.“
Sein Sohn, mittlerweile selbst Schäfer im Familienbetrieb, habe im vergangenen Jahr bei der Arbeit eine Begegnung mit einem Wolf gehabt. „Das war bei Zeven. Beim Hüten hat mein Sohn versehentlich einen Wolf geweckt, der unter einer Buschreihe geschlafen hat. Die beide haben sich gegenseitig angestarrt, dann ist der Wolf weggesprintet“, erzählt Hehmsoth. Das habe ihm schon ein mulmiges Gefühl gegeben. „Zum einen ist da natürlich die Furcht, dass einem die Schafe, die einem ja auch etwas bedeuten, gerissen werden – und wenn man Pech hat sogar der Hund. Und dass er jetzt sogar meinem Sohn so nah gekommen ist, das ist natürlich emotional. Zum anderen haben wir Schäfer die letzten 20 Jahre immer mehr gearbeitet und immer weniger Geld verdient. Da kommt natürlich auch eine gewisse Existenzangst dazu.”
Was könnte man also tun? Den Wolf schießen? Quoten einführen, um den Bestand zu regeln, wie gerade jetzt wieder von vielen Seiten gefordert? Hehmsoth schüttelt den Kopf. „Nein, dazu habe ich eine ganz klare Meinung. Wir haben das Washingtoner Artenschutzabkommen unterschrieben, wissend, dass wir keine großen Beutegreifer in Deutschland haben. Die Inder dagegen, die müssen demnach den Tiger akzeptieren, die Afrikaner die Elefanten.“ Obwohl diese Tiere durchaus immer mal wieder Menschen angreifen würden. „Dann können wir als reiches Industrieland doch nicht sagen, wir wollen den Wolf nicht, das kann so nicht funktionieren.”
Frank Faß, der 49 Jahre alte Chef des Barmer Wolfcenters und Experte auf dem Gebiet des Canis Lupus, erzählt von einem Gespräch, dass er gerade kürzlich erst mit einem hiesigen Landwirt geführt habe. Dieser habe zu Faß gesagt, dass die Wolfspopulation in Niedersachsen ja doch stark gestiegen und es nun wirklich an der Zeit sei, den Bestand zu regulieren. „Ich habe dann zu ihm gesagt: „Okay, stell Dir vor, du hättest mehrere Rudel vor der Tür, mit insgesamt 100 Tieren. Und dann kommt die Quote, von, sagen wir, zehn Prozent. Und dann werden die geschossen. Und dann hast Du 90 Wölfe vor der Tür. Wäre Dir damit geholfen?” Der Landwirt habe kurz darüber nachgedacht und verneint. „Eine Quote bringt gar nichts“, ist sich Faß sicher.
Also alles so lassen, wie es ist? „Auf keinen Fall”, sind sich Hehmsoth und Faß einig. Zum einen fordern beide unisono, dass sehr viel professioneller mit Wölfen umgegangen werden sollte, die auffällig geworden sind. Faß: „Was wir dringend brauchen, ist eine Fachgruppe auf Landesebene, mit Mitarbeitern, die wirklich gelernt haben, wie man Wölfe fängt, sie betäubt, vergrämt und auch, wie man Wölfe tötet.“ Diese durchaus schwierigen Aufgaben den örtlichen Jägern allein zu überlassen, dies quasi „nebenbei“ zu erledigen, sei der Sache nicht angemessen. Gleichwohl bräuchte diese Fachgruppe die Unterstützung der örtlichen Jäger. „Und ja: Diese Lösung würde Steuergelder kosten.”
Hehmsoth ergänzt: „Wenn Wölfe bejagt werden sollen, dann muss es einen strengen Plan geben, der schnell umgesetzt werden kann.” Dabei sollte klar sein, dass nicht einfach wild Alttiere geschossen werden dürften, weil das das Problem vergrößern könnte. „Wenn ich eine Fähe schieße, bevor ihre Jungtiere wissen, wie man jagt, dann rennen diese hungrigen Halbstarken rum und kommen auf dumme Gedanken.” Wenn Wölfe anfingen, sich auf Nutztiere zu „spezialisieren” und dann nicht schnell Profis zum Einsatz kämen, die die betreffenden Tiere identifizierten, dann laufe man Gefahr, dass die Leute vor Ort sich selbst helfen – und einfach irgendeinen Wolf schießen und damit ein Vakuum erzeugen würden. „Habe ich ein Rudel, das niemanden stört, muss ich die Elterntiere in Ruhe lassen“, so Hehmsoth. Nicht dran fummeln wenn’t löppt also.
„Wenn der Wolf aber eingezäunte Nutztiere angreift, dann Muss er weg, keine Frage.” Auch da stimmt Faß zu.
Zum anderen fordern beide ein deutlich höheres Budget für die Unterstützung von Nutztierhaltern, was Zäune angeht oder die Futterkosten für Herdenschutzhunde. „Als die internationalen Schutzgesetze verabschiedet wurden, saßen die Tierhalter nie mit am Tisch”, so Faß. „Man hat ihnen die wachsende Wolfs-population einfach so vorgesetzt. Und deswegen finde ich, der Staat sollte sich mehr bewegen.“ Es könne nicht angehen, dass Anträge „auf Eis” gelegt würden, weil gerade Fördertöpfe leer seien. „Den Unmut darüber kann ich absolut nachvollziehen.“ Die Politik habe dafür zu sorgen, dass genügend Geld für Maßnahmen vorhanden ist.
Hehmsoth: „Der Wolf ist da, wir können ihn nicht wegdiskutieren. Aber der Umgang muss anders werden, mit dem Wolf, aber auch mit uns Weidetierhaltern, die da draußen mit dem Wolf leben müssen.”