10.05.2024 VAZ: „Hund reißt Reh im Stadtwald“

Jagdpächter Martin Jonas appelliert dringend an Anleinpflicht / Vier Vorfälle

Ein Bereich des Stadtwaldes Verden von Jagdpächter Martin Jonas. Foto: Jägerschaft Verden

VON MARKUS WIENKEN

Verden – Es ist ein Bild des Jammerns. Die Augen vom Todeskampf weit aufgerissen, die Beine von sich gestreckt, in der Flanke eine riesige klaffende Wunde, Eingeweide quellen heraus, so liegt das Reh im Gras. Zu Tode gehetzt von einem Hund. Kein Wolf. Das steht zweifelsfrei fest. Jagdpächter Martin Jonas sitzt auf einer Bank im Verdener Stadtwald. Sonst ein eher gelassener Vertreter seiner Zunft, fällt es ihm schwer, die Ruhe zu bewahren. Aber er schafft es. Vielleicht ist es die Stille des Waldes, die ihn dazu anhält, mit leiser Stimme, aber nicht weniger eindringlich zu beschreiben, was dem einst stolzen Tier widerfahren sein muss. „Es war ein langer, ein grausamer Tod“, so Jonas. Und es ist nicht der erste Fall.

Sonnenlicht fällt durch das Blätterdach des Stadtwaldes. Bilder, wie gemalt. Die Luft tut richtig gut, ein Spaziergang auch. Jagdpächter Martin Jonas macht sich auf den Weg, dreht seine übliche Runde durch den Forst, an der Leine seine treue Gefährtin, Ilke vom Idsinger Holz. Die Labradorhündin folgt ihrem Herrchen aufs Wort, braucht weder Pfiff noch scharfen Ton, auch eine Leine wäre gefühlt überflüssig. Martin Jonas lacht, kratzt sich den Kopf, tappt aber nicht in die Falle. „Brut und Setzzeit von April bis Mitte Juli, da zählt keine Ausrede, egal wie folgsam der Vierbeiner ist.“ Die Hündin scheint es zu verstehen. Jonas tätschelt die Stirn von Ilke, sie lässt es sich gefallen, trabt gelassen neben Herrchen weiter. Spaziergänger kommen, viele mit Hund, alle an der Leine. Man kennt sich, man winkt und beschnuppert sich. Friedlich die Atmosphäre. „So soll es, so muss es sein“, macht Jonas deutlich und auch, dass sich die meisten Hundebesitzer daran halten, ein gutes Miteinander von Tier und Natur schätzen. Wieder kommt ein Spaziergänger mit Vierbeiner, grüßt den Jagdpächter freundlich, der grüßt zurück. Klappt doch.

Könnte es nicht immer so sein? Jonas Stirn zieht sich in Falten, vielleicht, weil in diese friedliche Idylle hinein wieder die Bilder des toten Rehbocks drängen. Der Jagdpächter kennt sein Revier, circa 100 Hektar, genau. Nicht jeden Baum, nicht jeden Strauch, aber über den Bestand an Wild ist er stets auf dem Laufenden.
Er sieht bei seinen regelmäßigen Streifzügen den einen oder anderen der Vierbeiner groß werden, zu erfahren, wie er qualvoll, noch in den besten Jahren endet, das sei schon sehr bitter. Den genauen Hergang der gnadenlosen Jagd kann Jonas sich nur grob ausmalen. „Fest steht wohl, dass in einem Fall der Bock länger gehetzt, in die Enge getrieben wurde, ehe der Hund zubeißen konnte“, so eine erste Vermutung. Dass sich die Jagd über einen längeren Zeitraum hingezogen habe, sei hingegen sicher. „Anwohner haben qualvolle Schreie, die des Bockes, und Hetzlaute eines Hundes gehört“, so die Ermittlungen. Die kräftigen Bisswunden, so ein weiterer Rückschluss, lassen die Beobachter auf einen größeren Angreifer schließen. Polizei, auch der Landkreis und die Stadt seien regelmäßig eingeschaltet. Bislang allerdings ohne Ergebnis.
Letztendlich bleibe dem Pächter dann nur noch, die Überreste der Jagd zu beseitigen, den Bock oder die Ricke an Ort und Stelle zu vergraben. „Der Anblick macht einen schon sehr traurig“, gibt Jonas zu.

Sorgen bereiten dem Pächter vor allem die Häufung der Risse. Allein vier Fälle in den vergangenen Wochen in seinem Revier, zwei davon in der Nähe des Brunnenwegs, ist die Natur im Stadtwald entsprechend in Aufruhr. „Und ausgerechnet jetzt zur Brut- und Setzzeit“, so Jonas. Er könnte jetzt aus der Haut fahren, seiner Wut freien Lauf lassen, auf alles und jeden schimpfen, macht er aber nicht. Jonas blickt zunächst zurück, erinnert sich an Zeiten, wo ihm in seinem
Revier manchmal drei, vier Rehe über den Weg liefen. „Das gibt’s kaum noch“, sagt Jonas. Ursache dafür sei nicht die Jagd: „Geschossen wird nur noch sehr selten bis gar nicht“, betont der Pächter. Es hat andere Gründe, die Ricke und Bock vertreiben. „Die Menschen haben, auch seit Corona, die Natur für sich entdeckt, das bleibt nicht ohne Folgen.“ Jonas hat damit kein Problem. Er liebt den Wald, die Natur, allein deshalb habe er volles Verständnis dafür. „Jeder darf ihn nutzen“, betont er zum wiederholten Male. „Aber dafür brauchen wir Regeln. Und die müssen eingehalten werden.“

Jonas wirft einen Blick in den Wald, abseits der Wege, da wo Unterholz Schutz bietet, für große und für kleine Tiere und deren Nachwuchs. „Das braucht Schutz“, sagt er noch einmal. In den nächsten Wochen sind dort Reh und Kitz unterwegs, wird auch am Boden gebrütet. „Da haben Hunde in der Zeit nichts verloren, das muss den Menschen klar sein“, so sein Appell. Das Gesetz lässt keinen Spielraum, droht Hundebesitzern, die sich nicht an die Anleinpflicht halten, mit einer Geldbuße bis zu 5000 Euro. Wieder zieht Jonas die Stirn ein wenig kraus, lehnt sich zurück, wirkt nachdenklich. „Es geht nicht um Krawall, nicht darum, Druck auszuüben, wir müssen hier alle, Mensch und Tier, miteinander klar kommen“, betont er, dieses Mal aber schon etwas lauter, sodass ein schmetternder Buchfink irritiert seinen Gesang unterbricht. Wo es nicht läuft, hakt Jonas energisch nach, ist Schluss mit den leisen Tönen. „Wer mit Hund und ohne Leine unterwegs ist, der muss sich ein paar Worte gefallen lassen“, so der Pächter. Kommt nicht immer gut an. „Da gibt’s auch mal Stress.“ Musste Jonas erfahren, als er nach einem Wortwechsel im Wald mit seinem Auto wenig später nicht vom Fleck kam und deshalb die Werkstatt anrief. Der Techniker zog bei der Inspektion vor Ort einen Lappen aus dem Auspuff. „Ist dann halt so“, sagt Jonas und zuckt mit den Schultern.

Der Jagdpächter hat einen langen Atem, steht dafür morgens früh auf, dreht schon mal gegen vier Uhr eine Runde mit Ilke. Vielleicht findet sich irgendwo eine Spur von dem Übeltäter.