30.05.2024 VAZ: „Fliegende Lebensretter“

Achimer Hegering sucht vor der Mahd mit Drohnen nach Rehkitzen

Dirk Gatschke (links) zeigt Oliver Stock, wo er zuvor mit dem Laser-Fernmesser ein Gelege erkennen konnte. Foto: VAZ

VON ANNE LEIPOLD

Achim – Mit einem Summen startet die Drohne vom orangefarbenen Startpunkt aus in die Luft. Der Automatikmodus und die Wärmebildkamera sind aktiviert. In unterschiedlichen Grautönen ist das Feld auf dem Bildschirm der Fernsteuerung zu sehen. Immer wieder hebt Drohnenpilot Oliver Stock den Blick vom Bildschirm hoch zur Drohne, die in 50 Metern Höhe das Feld überfliegt. In seinem Rücken kündigt sich die Sonne mit einem schmalen roten Streifen am Horizont an. In das Rauschen der Autobahn 27 mischt sich
Vogelgezwitscher.

Bereits seit Ende April sind die acht Drohnenpiloten des Achimer Hegerings häufig in den frühen Morgenstunden unterwegs, um die Felder der Landwirte vor der Mahd nach Rehkitzen abzusuchen. In dem tiefen Gras sind die Tiere dabei nur schwer auszumachen, und selbst Hunde haben Schwierigkeiten, sie zu wittern. Zumeist sind die Flächen auch schlicht zu groß, um sie effizient zu Fuß abzusuchen.

Mithilfe der Koordinaten hat Stock die Flugroute vorher festgelegt. Jetzt kann er sich mit dem zweiten Drohnenpiloten Dirk Glatschke ganz auf das Wärmebild konzentrieren. „Je dunkelroter, umso wahrscheinlicher ist da eine Signatur“, sagt Glatschke. Es ist seine erste Saison als Drohnenpilot. „Wer einmal ein umgemähtes Kitz gesehen hat, der möchte das nicht noch einmal erleben. Das geht auch nicht leise vonstatten, das ist ein Schreien, auch von der Ricke“, sagt der Jäger. „Zum Glück haben wir die Technik, um das zu verhindern.“

Neben ihnen warten Corinna Stuck und Monya Kunz. Die beiden kommen zum Einsatz, sobald ein Kitz im hohen Gras entdeckt wird. Auf der Wärmebildkamera zeichnen sich immer wieder kleine rote Flächen ab.

Stock schaltet auf das Kamerabild um und lässt die Drohne sinken. Es sind Hasen. Nach 20 Minuten ist klar, auf diesen 5,5 Hektar muss kein Kitz gerettet werden. Das Equipment wird eingepackt und es geht zur nächsten nah gelegenen Fläche. „Die Natur in so früher Stunde zu erleben ist schön“, erzählt Stock, während die Drohne das zweite Feld überfliegt. „Viele haben eine Drohne und wissen sie nicht wirklich einzusetzen, hier macht man etwas Sinnvolles damit“, erklärt er.

Auch auf diesem Feld werden Hasen, aber keine Kitze gesichtet. Das gleiche Bild zeigt sich auf der dritten Fläche. Glatschke sucht diese vorher mit einem Laser-Entfernungsmesser ab. „Damit kann ich vorher Dinge sehen, die nicht ohne Weiteres sichtbar sind“, sagt er.

„Ich finde, dass Jäger sehr nah am Naturschutz sind“, sagt Stuck. Sie stand den Jägern früher sehr ambivalent gegenüber. „Meine Meinung hat sich geändert. Das ist aktiver Naturschutz“, sagt sie. Es ist für beide Frauen die erste Saison. Stuck ist das fünfte Mal dabei. „Ein paar Kitze durfte ich retten“, erzählt sie. „Ganz berührend war der Hilfeschrei, sie schreien ein Mal und bleiben dann ganz still liegen.“

Die Kitze werden mit einer Kiste abgedeckt und der Standort mit einer Fahne markiert. Der Landwirt kann so die Stellen sicher umfahren. Nach der Mahd werden die Kitze freigelassen.

Inzwischen ist das Team, das immer aus zwei Piloten und zwei Helfern besteht, am vierten und letzten Feld für den Tag angekommen. Es seien mehr Landwirte geworden, die bei der Kitzrettung anfragen, sagt Udo Faulstich, der die Teams koordiniert. „Durch das Hochwasser ist man näher zusammen gerückt und ins Gespräch gekommen.“

Die Sonne steht bereits hoch. Stock und Glatschke machen einen dunkelroten Punkt aus. Die Drohne fliegt tiefer. Es ist eine Ricke mit ihrem Kitz. Die Helferinnen gehen zum Auto, um Stangen, Kiste, Fahne und Funkgeräte aus dem Kofferraum zu holen. Doch das Kitz ist schon größer und steht. „Das scheint schon mobil zu sein. Das läuft mit der Mutter zusammen weg“, stellt Stock fest.

Vergangenes Jahr haben sie „Im Bruch“ mehrere Kitze gerettet, insgesamt waren es im vergangenen Jahr 88 Jungtiere. „Wir haben heute fünf bis sechs Rehe gesehen, sonst stehen hier 20″, stellt Stock fest. „Es ist eher eine Verlagerung der Standorte als rückläufig“, ergänzt Faulstich.

Die Drohne landet sicher und kommt danach zurück in den Hartschalenkoffer, bis sie für ihren nächsten Einsatz gebraucht wird.

Die Piloten und Helferinnen sind zufrieden. „Wenn wir nichts finden, kann der Landwirt in Ruhe mähen, dafür machen wir das.“