MICHAEL MIX
Achim – Hunderte Rehe, Hasen, Füchse, Mäuse und andere Wildtiere fielen vor gut einem Jahr dem Hochwasser an der Weser allein im Achimer Stadtgebiet zum Opfer. Viele ertranken in den Fluten nicht nur aufgrund mangelnden Schwimmvermögens, sondern auch, weil ihnen Schaulustige den Weg zum rettenden Ufer versperrten. „Spaziergänger auf den Deichen stellen eine Gefahr für Wildtiere dar“, berichtete diese Zeitung zum Jahreswechsel 2023/2024. Jagdpächter und Naturschützer beklagten regelrechten „Hochwasser-Tourismus“. Die Stadt verbot daraufhin zwar das Betreten und Befahren der Deichanlagen sowie der Zuwegungen, aber für einen Großteil des Wilds im Gebiet der sich von Baden bis Bollen erstreckenden Seenplatte kam die Hilfe zu spät. Solch eine Tragödie soll nicht noch einmal passieren. Wildtiere brauchen die Möglichkeit, eine Stelle zu finden, wo sie mindestens 200 Meter Abstand zum Menschen haben.
Jan-Gerd Bätjer, Jagdpächter Achimer Marsch
In Kooperation mit dem Hegering Achim und dem Bodenverband Bierden-Bollen-Uphusen plant die Stadt für den Fall eines erneuten starken Hochwassers ein „Absperrkonzept“ für Straßen entlang der Wesermarsch. Aber nicht nur das. Auch soll der Bevölkerung in zwei Deichabschnitten in Bollen und Clüverswer-der das Betreten und Befahren dauerhaft untersagt werden. Vorgesehen ist, diese Bereiche als „Wildruhezonen“ auszuweisen. Darüber berät der Ratsaus-schuss für Bauunterhaltung und Umwelt am Dienstag, 11. Februar, ab 17 Uhr in öffentlicher Sitzung im Ratssaal.
Die Jäger, die nach dem Ablaufen des Hochwassers Dutzende Kadaver von Rehen und Hasen geborgen hatten, waren mit dem Katastrophenschutzmanage-ment der Stadt alles andere als zufrieden gewesen. Sie habe zu spät und nicht ausreichend reagiert, hieß es.
Etliche Tage oder sogar Wochen hätten bis an die Wasserkante vordringende Neugierige, oft auch noch von Hunden begleitet, Wildtieren den lebensrettenden Fluchtweg versperrt. Etwa an der Straße An der Marsch, wo der städtische Bauhof es erst lange nach dem Alarmruf der Jägerschaft geschafft habe, das Teilstück unterhalb der Windmühle für die Öffentlichkeit abzusperren.
Um das Wild in Zukunft besser schützen zu können, nahm sich der Hegering vor, gemeinsam mit der Stadt einen Maßnahmenkatalog für ein etwaiges erneutes Flutereignis zu erarbeiten. Ziel sollte unter anderem sein, „Rückzugsge-biete zu schaffen, damit das Wild eine Zuflucht hat, und zwar schnell“, sagte Udo Faulstich, Pächter des Uesener Jagdreviers. „Sie brauchen die Möglichkeit, eine Stelle zu finden, wo sie mindestens 200 Meter Abstand zum Menschen ha-ben“, erklärte sein für die Achimer Marsch zuständiger Kollege Jan-Gerd Bätjer. Der Katalog sollte etwa Absperrungen, die Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger sowie eine Leinenpflicht thematisieren.
Die Verwaltung legt der Politik nun ein mit dem Hegering und dem Bodenver-band abgestimmtes Konzept vor, das die Belange des Deich- und Wildtierschut-zes von Baden bis Bollen im Visier habe. „Um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten und Durchfahrten in überschwemmte Gebiete zu unterbinden, sind diverse Straßensperrungen zur Gefahrenabwehr erforderlich“, steht in der Sitzungsvorlage. Entsprechende Schilder seien beim Bauhof „sofort verfügbar“.
Zudem habe die Stadt die Anregung des Hegerings, Wildruhezonen bei gleichzeitiger Straßensperrung für den Kfz-Verkehr einzurichten, im Konzept berück-sichtigt. Mit darunter fielen auch die Zugänge zum Naturschutzgebiet Sandtro-ckenrasen Achim rund um den Ellisee, die ebenfalls beschildert werden sollen.
Darüber hinaus schlägt der Hegering vor, einen Deichabschnitt in Clüverswer-der und einen weiteren in Bollen dauerhaft zu sperren, damit die „Wildflucht-korridore ganzjährig ungestört‘ bleiben können. Die betroffenen Areale stehen im Eigentum des Wasser- und Bodenverbandes Bierden-Bollen-Uphusen, der laut der Stadtverwaltung sein Einverständnis hierfür signalisiert hat.
Die Mittelweser-Touristik GmbH habe allerdings Bedenken geäußert, da ein Rundwanderweg über die betroffenen Deichabschnitte führt. Sie hält es für sinnvoller, die Strecke lediglich bei Hochwasser für den Wildtierschutz zu sperren.
Ob der Hegering, dessen Leitung nach den Erfahrungen mit dem jüngsten Win-terhochwasser künftig übrigens an den regelmäßigen Krisenstabssitzungen der Stadt Achim teilnimmt, seine Vorstellungen in Sachen Wildruhezonen umsetzen wird, ist noch offen.. Das wolle dieser gemeinsam mit dem Wasser- und Bo-denverband „nach der öffentlichen Vorstellung abschließend entscheiden“.