
MICHAEL MIX
Achim – Endgültig entschieden ist noch nichts. Aber nach dem starken Hochwasser in Achim zum Jahreswechsel 2023/2024, das Massen von Gaffern anlockte, die es unzähligen Wildtieren unmöglich machten, sich vor den Fluten in Sicherheit zu bringen, läuft es darauf hinaus, dass zwei Deichabschnitte in Clüverswerder und Bollen für die Öffentlichkeit gesperrt werden. Dort hätten Rehe, Hasen und Co. dann Fluchtkorridore, falls die Weser erneut stark über die Ufer treten sollte. Obendrein könnten die „Wildruhezonen“ dazu dienen, die Stabilität des Deiches und damit den Hochwasserschutz zu verbessern. Das darf uns nie wieder passieren. Antje Dahlweg, Hegering
„Der Landkreis als Aufsichtsbehörde muss sein Okay noch geben“, sagte Claus Stadtlander, Vorsitzender des Wasser- und Bodenverbands Bierden-Bollen-Uphusen, am Mittwoch auf Nachfrage dieser Zeitung. Zu dem Thema sei im März ein Gespräch anberaumt.
„Wir warten ab, wie sich der Stadtrat in seiner Sitzung im April dazu positionieren wird, antwortete Antje Dahlweg, Leiterin des Hegerings Achim. Denn ohne Rückhalt aus der örtlichen Politik wolle die Jägerschaft die Sperrzonen nicht einrichten.
Klar ist, dass sowohl der Hegering als auch der Wasser- und Bodenverband dafür sind, diese zu schaffen. Denn einerseits erhielte das Wild unabhängig von Hochwasserereignissen ganzjährig Rückzugsorte, andererseits würde aber auch der laut Stadtlander „an vielen Stellen marode und durchgeweichte Deich“ nicht weiter ramponiert werden. Wir schlagen damit also zwei Fliegen mit einer Klappe.“
Die beiden Funktionsträger hatten in der jüngsten Sitzung des Ratsausschusses für Bauunterhaltung und Umwelt noch einmal dargelegt, warum aus ihrer Sicht gehandelt werden müsse. Zunächst rief Dahlweg in Erinnerung, was sich vor gut einem Jahr rings um das Hochwasser abspielte. „Das darf uns nie wieder passieren“, schickte sie ihren Ausführungen mahnend vorweg.
Die Jäger hätten im Achimer Stadtgebiet 150 tote Rehe eingesammelt. Dazu seien unzählige Hasen, Füchse, Igel und Kleintiere den Fluten zum Opfer gefallen. „Wir gehen davon aus, dass 70 Prozent des Rehwildbestands ertrunken ist“, berichtete die Hegeringleiterin.
Und das liege vornehmlich an fehlenden Fluchtkorridoren. „Denn in Achim haben am Rande der Marsch nahezu alle Grundstücke Zäune, die von den Tieren nicht überwunden werden können“, erklärte Dahlweg. Darüber hinaus hätten die vielen Neugierigen die wenigen zugänglichen Trockenflächen am Rand der Seenplatte blockiert.
Bei einer neuerlichen Flutkatastrophe müssten deshalb alle Straßen und Wege im Umfeld der Weser gesperrt werden, um den Hochwassertourismus zu verhindern, forderte Dahlweg. „Es geht darum, dem Wild die Rettung zu ermöglichen.“
Für diesen Zweck und um den Tieren insgesamt mehr Ruhe vor Spaziergängern oder Radfahrern zu verschaffen, sollten zwei Deichabschnitte für Menschen gesperrt werden. Zum einen der Bereich von der Kurve am Klärwerk in Clüverswerder bis hin zum Campingplatz Coppel, zum anderen das Stück zwischen den beiden Gaststätten in Bollen. Dort gebe es viel Wild. „Und Tiere nehmen meist immer die gleiche, gewohnte Strecke“, erläuterte Dahlweg.
Leider fehle vielen Menschen heute das Verständnis für die Bedürfnisse von Flora und Fauna, fügte sie hinzu. Der Respekt vor Wildtieren sei oft nicht mehr da.
Was Petra Geisler (SPD) genauso sah. Dennoch hielt sie eine „dauerhafte Sperrung von zwei Strecken für problematisch“. Die Mittelweser-Touristik habe ja schon darauf hingewiesen, dass es sich dabei um Routen des Achimer Wanderwegenetzes handele. „Diese Gebiete nutzen viele Menschen zur Naherholung“, bekräftigte Geisler. Die Behörden sollten viel stärker gegen Gaffer vorgehen, verlangte sie.
„Uneinsichtigen ist kaum beizukommen“, antwortete Steffen Zorn, Leiter des Bauressorts bei der Stadt. Die vom Landkreis gegen Durchfahrtsverbote ignorierende Autofahrer öffentlichkeitswirksam verhängten „saftigen Geldstrafen“ hätten kaum abschreckende Wirkung gehabt.
Isabel Gottschewsky (CDU) begrüßte für ihre Fraktion das vorgestellte Konzept für die Wildruhezonen. „Wir sollten es einfach mal ausprobieren.“
Verbandsvorsteher Stadtlander brachte in der Sitzung einen weiteren Aspekt bei dem Thema zur Sprache. „Spaziergänger, mitgeführte Hunde, die im Erdreich wühlen, und Radfahrer machen den Deich kaputt“, gab er zu bedenken. Das dürfe nicht so weitergehen. „Der Deich ist doch kein Disneypark.“
Daraufhin änderte Geisler ihre Haltung. „Wenn es um den Schutz des Deiches geht, sollte er gesperrt werden“, schwenkte die Sozialdemokratin in der Frage um. Ihre Fraktion sehe das sicherlich genauso.
Jan Precht (Grüne) schlug als Kompromiss vor, die vorgesehenen Sperrungen ein Jahr lang „auszuprobieren“. Was Claus Stadtlander jedoch nicht als sinnvoll erachtete: „Wir errichten auf den Strecken doch keine Sperrgatter, um sie nach einem Jahr wieder abzubauen.“