29.12.2023 VAZ: „Rettung für hilfloses Reh“

Stadt Achim erlässt Allgemeinverfügung und untersagt Betreten der Deiche

Christian Marquardt appelliert, um der Wildtiere willen die Deiche nicht zu betreten. Foto: Bartz

VON DENNIS BARTZ UND NINA BAUCKE

Achim – Eigentlich wollen Antonia Heise und ihr Freund nur ihre Pferdeweiden am Deich im Grenzbereich der Stadt Achim zum Land Bremen hin kontrollieren, als ihnen auf der anderen Seite des Deichs etwas auffällt: Ein Reh müht sich ab, das Ufer am Fuß des Deiches zu erreichen. Heise, die als Pferdekennerin einen Blick dafür hat, sieht im Zittern des Tieres eines: Das Reh ist in einer Notlage.
Zusammen mit einer Fahrradfahrerin beobachten sie erst vorsichtig die Szene. „Wir hatten Gewissensbisse, wie wir uns verhalten sollen“, schilderte Heise die Situation. Zehn Minuten warten sie ab, verfolgen das Verhalten des Tieres, bevor sie sich langsam nähern. Sie wollen es den Deich hochtreiben, „aber wir hatten Angst, dass es zurück ins Wasser flüchtet“. Doch das Reh bewegt sich nicht von der Stelle, weder in Richtung Wasser, noch in Richtung Deichkrone. „Es war wie paralysiert und offenbar entkräftet und unterkühlt“, schildert Heise. Schließlich beschließen sie, es vom Wasser weg zu tragen. Heise nähert sich ihm, hebt es hoch. „Es hat mich persönlich getroffen, zu erleben, dass ein Wildtier, das sonst die Menschen scheut, sich so in unsere Hände begibt“, sagt sie.

Normalerweise können Rehe schwimmen, weiß Jagdpächter Christian Marquardt aus Bierden, der auf dem Deich Hinweisschilder aufstellt, mit denen er an die Menschen appellieren will, die Deiche nicht zu betreten, um die Wildtiere nicht in Richtung Hochwasser zu treiben. „Ich habe gerade erst drei Rehe beobachtet, die über den Deich in das benachbarte Naturschutzgebiet gewechselt sind.“ Doch die aktuell starke Strömung stellt eine Gefahr für die Tiere dar.
„Schlimm trifft es die Hasen: Der Besatz hatte sich gerade erholt, nun sind aber viele Tiere im Hochwasser ertrunken. Ich finde es gut, dass die Polizei hier kontrolliert und die Schaulustigen anspricht, die trotz der Schilder die Deiche betreten.“

Um das noch einmal zu unterstreichen, hat nun auch die Stadt Achim nach Rücksprache mit den Deichverbänden laut einer Pressemitteilung eine Allgemeinverfügung erlassen, die heute in Kraft tritt. Laut dieser ist der Zivilbevölkerung das Betreten und Befahren der Deichanlagen, der deichnahen Bereiche und deren Zuwegungen untersagt. „Damit wollen und müssen wir den Hoch-wasser-Tourismus unterbinden, der trotz aller Appelle unvermittelt anhält“, betont Bürgermeister Rainer Ditzfeld die Notwendigkeit der Allgemeinverfügung.

Mit dieser sollen die Deichanlagen und damit das Leben und die Gesundheit der Menschen geschützt werden. „Aktuell besprechen wir uns zwei Mal täglich mit der Feuerwehr und Polizei sowie bei Bedarf weiteren externen Fachleuten, um die Lage und die zahlreichen Hinweise zu bewerten und schauen uns die Situation auch vor Ort persönlich an“, betont der Rathauschef. Die Allgemeinverfügung ist in voller Länge auf der Internetseite der Stadt Achim unter www.achim.de einsehbar.

Für das Reh, das Antonia Heise den Abhang hochträgt und das dann ihr Freund auf die andere Seite des Deichs, im Windschatten eines Gebüsch ablegt, scheint sich erst einmal alles zum Guten gewendet zu haben: Als die Helfer mit etwas Heu zu dem Tier zurückkehren, steht es bereits wieder und läuft davon. „Das war alles schon sehr krass“, schildert Heise ihre Gefühle nach der Rettungsaktion. Sie will weiterhin in dieser Situation ein waches Auge auf in Not geratene
Tiere haben.