VAZ 22.11.25: „Rätselhaftes Kranichsterben“

Der Ausbruch der Geflügelpest verläuft in diesem Herbst anders als erwartet

Antje Dahlweg aus Fischerhude hat zusammen mit weiteren Jägern im Landkreis Verden dabei geholfen, an der Vogelgrippe gestorbene Kraniche aufzusammeln. Foto: Wasil Dimev

Fischerhude. Antje Dahlweg sieht mehr als die meisten. Beim Spaziergang durch die Wümmeniederung in Fischerhude bleibt sie unvermittelt stehen und deutet auf den Rand eines Feldes. Dort hat sich ein Fasan – gut 50 Meter entfernt – aus den schützenden Büschen getraut. Auch eine Gruppe Rehe am Horizont erspäht die Jägerin sofort. Sie hört auch die Rufe einiger Kraniche, die in großer Entfernung auf einer Wiese stehen. Mit den großen, grau gefiederten Vögeln hatten sie und viele weitere Jäger in der Region in den vergangenen Wochen mehr zu tun als üblich.
Die Vogelgrippe hat Hunderte Kraniche das Leben gekostet. Allein in der Wümmeniederung zwischen Fischerhude und Mahndorf sind nach Angaben der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Verden in den vergangenen Wochen etwa 360 Kraniche tot aufgefunden worden.
Für die erkrankten Tiere kommt jede Hilfe zu spät. Die Vögel leiden nach Angaben der Unteren Naturschutzbehörde schwer im Sterbeprozess. Sie taumeln und können nicht flüchten. Viele von ihnen ertrinken, weil sie sich nicht mehr auf den Beinen halten können. Der Landkreis Verden hat deshalb eine Ausnahme vom Tötungsverbot für Kraniche erteilt, die augenscheinlich an der Geflügelpest erkrankt sind. In sieben Fällen erlösten Jäger die Tiere von ihrem Leid mit einem Schrotschuss aus kurzer Entfernung.
Gefragt waren die Jäger nicht wegen ihres Waffeneinsatzes, sondern wegen ihrer Sach- und Ortskenntnis. In Absprache mit den Behörden kümmerten sie sich zusammen mit Mitgliedern des Naturschutzbunds in ehrenamtlicher Arbeit darum, die Kadaver einzusammeln. Ausgestattet wie Forensiker in einem Sonntagabendkrimi durchkämmten sie mit weißen Overalls, Schutzmasken und Überschuhen das Naturschutzgebiet.
„Das ist wirklich nicht schön“, sagt Antje Dahlweg über den Großeinsatz vor wenigen Wochen, als die Jäger die Wiesenlandschaft absuchten und an einem einzigen Tag mehr als 100 tote Tiere auflasen. Zwar hat sie als Jägerin durchaus eine gewisse Routine im Umgang mit Tierkadavern, aber es ist für sie etwas anderes, ein einzelnes Tier gezielt zu entnehmen, als einem solchen Massensterben gegenüberzustehen.
Das Ausmaß veranschaulicht Dahlweg am Tontaubenschießstand der Fischerhuder Schützen, wo der Landkreis schwarze, ein bis zwei Kubikmeter große Tonnen zur Entsorgung der Tiere aufgestellt hat. An diesem Nachmittag sind die Tonnen leer. „Das ist ein gutes Zeichen“, sagt Dahlweg. Es zeige, dass sich die Situation beruhigt habe. Vor wenigen Wochen sah es dort noch ganz anders aus. Da reichte das Fassungsvermögen der Tonnen nicht aus für die Menge an toten ­Kranichen, die die Jäger aufgesammelt hatten.
Das Sterben der Kraniche stellte die Jäger nicht nur vor praktische Probleme, sondern auch vor die bange Frage, welche Auswirkungen die Geflügelpest auf die anderen Wildvögel haben würde. Die Wümmeniederung ist bekannt für ihre ornithologische Vielfalt. Zugvögel aus Nord- und Osteuropa machen dort Rast auf ihrem Weg in den Süden. Doch anders als bei vergangenen Ausbrüchen der Tierseuche scheinen die anderen Wildvögel in diesem Jahr verschont zu bleiben. „Das Sterben an der Vogelgrippe unter den Zugvögeln scheint sich derzeit auf Kraniche zu beschränken“, teilt die Untere Naturschutzbehörde auf Nachfrage mit.
Hilmar Kruse, Kreisjägermeister im Landkreis Verden, erzählt, dass Wildgänse und Wildenten mitunter dicht an dicht neben Kranichen standen, ohne sich anzustecken – oder zumindest ohne an dem Virus zu erkranken. „Es ist wohl so, dass die anderen Wildvogelarten mittlerweile teilimmun sind“, sagt Kruse. Das zumindest sei die Hypothese von Veterinären, mit denen er gesprochen habe.
Fest steht: Die Vogelgrippe verläuft im Herbst 2025 anders als in den vergangenen Jahren. Früher seien vor allem Wildgänse betroffen gewesen, sagt Antje Dahlweg. Die sind auch in diesen Tagen wieder in großen Schwärmen in der Wümmeniederung anzutreffen, erfreuen sich dort aber augenscheinlich bester Gesundheit.

Anders als bei vorangegangenen Ausbrüchen im Kreis Verden sind in diesem Herbst ausschließlich Kraniche an der Vogelgrippe erkrankt und gestorben. Foto: Focke Strangmann

Auch die Kraniche, die zuletzt in der Region angekommen sind, scheinen wohlauf zu sein. „Es gibt aktuell kaum noch tote Kraniche und auch kaum noch verhaltensauffällige beziehungsweise augenscheinlich kranke Tiere“, heißt es von der Unteren Naturschutzbehörde, die das Geschehen um die Vogelgrippe zusammen mit dem Veterinäramt genau kontrolliert. Dabei sei der Kranichzug noch nicht vorüber. Bei der Schlafplatzzählung seien in dieser Woche an einem Abend in der Wümmeniederung 440 Kraniche gezählt worden.


 Text: Felix Gutschmidt