24.05.2022 VN: EU-Beschluss gefährdet Blühstreifen

Vier Prozent der Ackerflächen sollen ab 2023 brachliegen - Kritik von Verdener Imkern und Bauern

Hat kein Verständnis für den EU-Beschluss: Imker Heinrich Kersten (re.), hier mit Jürgen Luttmann von der Kreisjägerschaft bei der Vorstellung des Blühstreifenprogramms. Foto: FOCKE STRANGMANN

Landkreis Verden. Der Beschluss der EU-Kommission, dass ab 2023 in ganz Europa mindestens vier Prozent der Ackerfläche stillgelegt werden müssen, hat auch im Landkreis Verden Unverständnis und Kritik hervorgerufen. Landwirte sollen in Deutsch­land diese Flächen ab Herbst 2022 nicht mehr beackern und einsäen, um EU-Direktzahlun­gen zu erhalten, die sogenannte Einkommensgrundstützung. Da dies auch das Anle­gen von sogenannten Blühstreifen ein­schließt, die besonders Bienen, Hummeln und anderen Insekten Nahrung liefern, se­hen hiesige Imker und Landwirte die Zu­kunft entsprechender Projekte im Landkreis gefährdet.

Welche Projekte gibt es im Landkreis Verden?

Seit Januar 2016 ist die Verdener Imkermischung auf dem Markt, die der engagierte Imker Heinrich Kersten aus Eissel gemein­sam mit Landwirten entwickelt hat. Die spe­zielle Saatmischung lässt etwa ein Dutzend verschiedene Pflanzenarten sprießen und vor allem blühen, etwa Senf, Klee, Phacelia und Sonnenblumen. Mit dieser Saataus­wahl soll bewusst ein Nektar- und Pollenan­gebot für die Bienen und Wildbienen nach der Rapsblüte bis in den Herbst sichergestellt werden, „damit die Bienenvölker optimal versorgt und vital in den Winter gehen“. Laut Kersten wird die Imkermischung aktuell auf etwa 550 bis 600 Hektar Fläche im Landkreis Verden angesät. Die Imkermischung hat auch international Interesse hervorgerufen, 2017 waren Besucher aus China im Landkreis zu Gast, um sich zu informieren. 2020 hat Kersten gemeinsam mit der Verdener Jäger­schaft zusätzlich das Blühstreifenprogramm „Frühjahrsblüte“ aufgelegt. Es soll den in der Feldflur lebenden Tieren von Herbst bis in den Sommer Nahrung und De­ckung bieten und im Frühjahr nicht bearbeitet werden, um Brut und Aufzucht der Jung­tiere nicht zu gefährden. Die Blüten bieten den Honigbienen und anderen  Insekten be­reits im zeitigen Frühjahr Nahrung, um die deutlich zurückgehenden Rapsbestände zu ergänzen. Die Basis des Saatgutes besteht aus winterharten Frühblühern, die durch weitere Blühpflanzen ergänzt werden, um eine ausreichende Deckung schon im ersten Winter und eine Blühfolge von April bis in den September zu erreichen. Bei gleicher Eignung werden standortgerechte, einhei­mische Blühpflanzen bevorzugt eingesetzt. Finanziert wird das Programm aus dem He­gefonds der Jägerschaft.

Was sagen die Imker?

Für Heinrich Kersten ist mit dem EU-Be­schluss das Ende des Blühstreifenpro-gramms gekommen. „Wenn auf diesen Flä­chen eine Aussaat bienenfreundlicher Pflan­zen nicht mehr erlaubt ist, werden auch die Landwirte Nachteile in Kauf nehmen müs­sen“, ist Kersten überzeugt. Denn die Teil­nahme an dem Blühstreifenprogramm habe sich für die Bauern auch finanziell gerech­net. „Sie bekommen das Saatgut von der Jä­gerschaft kostenfrei gestellt und erhalten eine Flächenprämie von 650 Euro pro Hektar im ersten und 800 Euro pro Hektar im zwei­ten Jahr“, so Kersten. Er kritisiert, dass die EU durch die neue Regelung zwar Naturbrachen für Flora und Fauna schaffen wolle, dies nach der aktuellen Umsetzung aber auf Kos­ten der Bienen und anderer Insekten gehe. „Die Auswirkungen werden schon in diesem Jahr zu sehen sein, denn ab Ende Juni wer­den die Flächen abgeerntet, und die Land­wirte müssen dann die Weichen stellen, wie es weitergehen soil.“

Wie argumentieren die Landwirte?
Kreislandwirt Jörn Ehlers aus Holtum Geest befürchtet, dass viele Bauern aus Umweltprogrammen aussteigen werden. FOTO: BJÖRN HAKE

Jörn Ehlers aus Holtum (Geest) vertritt die Interessen seiner Kolleginnen und Kollegen als Kreislandwirt und Vizepräsident des nie­dersächsischen Landvolks. Er erwartet, dass die Teilnahme der Bauern an den freiwilligen Agrarumweltprojekten durch den EU-Be­schluss stark abnehmen wird. „Der Be­schluss bewirkt aus meiner Sicht eine Verschlechterung der Lage. Es geht ja offenbar darum, Niederwild und Bodenbrüter durch die Brachflächen zu unterstützen. Das hät­ten wir mit den Blühflächen auch erreicht, ohne die negativen Auswirkungen für die In­sekten“, erklärt Ehlers. Er geht davon aus, dass nahezu alle Landwirte von der Vorgabe betroffen sind, denn die Grenze für die Mindestflächengröße sei sehr niedrig angesetzt. „Es sei denn, der Betrieb steigt aus dem gan­zen Fördersystem aus. Das haben auch bei uns schon ein paar Kollegen getan, beispiels­weise Betriebe, die überwiegend Mais für Biogasanlagen anbauen. Für die lohnt sich die Förderung nicht“, sagt Ehlers. Diese Be­triebe müssten noch die gesetzlichen Vorschriften einhalten, aber nicht mehr die Be­stimmungen, was Fruchtfolgen und ähnliche Dinge angehe. Neben dem Thema Artenviel­falt sei aktuell aber auch durch den Krieg in der Ukraine die Frage der Nahrungssicher­heit in aller Munde. Deshalb sei es fragwür­dig, die Flächen nicht zu nutzen. „Wir wissen nicht, wie lange der Engpass andauert. Es wäre deshalb sinnvoll, die Flächen für den Anbau von Nahrungsmitteln zu nutzen, bis sich die Lage entspannt hat“, betont der Kreislandwirt.

Was bedeutet die Umsetzung für die Land­wirte konkret?

Beispiel Weizen: Die Felder werden im kom­menden August abgeerntet, Ende Septem­ber müsste der neue Weizen gesät werden. Da der Flächenanteil nach der neuen Rege­lung ab 2023 aber nicht mehr bewirtschaftet werden darf, kann der Weizen in diesem Jahr nicht mehr angesät werden. Die vier Prozent Flächen liegen also schon ab diesem Herbst brach. Im Landkreis Verden gibt es laut Jörn Ehlers etwa 40.000 Hektar Ackerflächen. Vier Prozent müssen stillgelegt werden, also 1600 Hektar. Der Holtumer bewirtschaftet mit seiner Familie 240 Hektar mit Raps, Ge­treide, Mais und Ackerbohnen. „Das heißt für uns, dass wir fast zehn Hektar nicht mehr nutzen können“, so Ehlers. Er habe für 2023 wegen des EU-Beschlusses bislang keinen Antrag auf Blühflächen gestellt. „Erst mal sehen, wie es sich weiter entwickelt.“