16.05.2025 VAZ: Die Rettung kreist auf 70 Metern

Unterwegs mit einem Drohnenteam des Hegeringes Wesermarsch

Im Einsatz für die Kitzrettung (v.l.): Jäger Werner Wiegmann, Drohnenpilot Ralf Radeke und Co-Pilot Wilfried Herbst haben die Vorbereitungen abgeschlossen, die Drohne ist startklar. Fotos: Albrecht

Morsum/Intschede – Der Wecker klingelt zu einer eher ungewöhnlichen Zeit. Für die Menschen, die sich im Hegering Wesermarsch ehrenamtlich in der Kitzrettung engagieren, aber nichts Besonderes: Es ist 4.30 Uhr, als sich die Augen öffnen. Man will ja pünktlich um 5 Uhr am Treffpunkt sein. So hatte es Hegeringleiter Ralf Radeke in seiner Mitteilung geschrieben und zu der morgendlichen Begleitung des Kitzrettungseinsatzes eingeladen.

Gummistiefel, dicke Hose, Pulli, wärmende Jacke und Kopfbedeckung an. Notizblock und Kamera nicht vergessen. Es ist noch fast dunkel, als sich die Kitzretter um kurz vor fünf in Morsum am besprochenen Treffpunkt einfinden. Mit zwei Dreier-Teams wird heute geflogen. Die Revierpächter stoßen dazu. In Morsum ist es Jan-Eike Nienstädt. Er kennt die Flächen, die ihm die Landwirte zur Mahd gemeldet haben. Die Jägerschaft möchte Landwirte in ihrer tierschutzrechtlichen Verpflichtung unterstützen, Verletzungen und Leid von Wildtieren zu vermeiden.

Es herrschen frische sieben Grad, die Sonne hat es noch nicht ganz über den Horizont geschafft. Im Auto sitzen der Drohnenpilot Ralf Radeke, sein Co-Pilot Wilfried Herbst und der Jäger Werner Wiegmann, dem bei den Einsätzen eine besondere Aufgabe zukommt. Nienstädt fährt vorweg, zeigt die ersten Flächen und fährt mit dem zweiten Team zu einer anderen Koppel weiter. Mit der Drohne und moderner Wärmebildtechnik sollen die zu mähenden Areale überflogen und nach Kitzen oder Gelegen abgesucht werden. Das Equipment wird ausgepackt. Ohne viele Worte, jeder Handgriff sitzt. Akku in die Drohne, Radeke hängt sich den Joystick um, während der Co-Pilot eine Kabelverbindung zum Bildschirm herstellt. Werner Wiegmann bereitet den großen Kescher vor und der Reporter bekommt zwei Jutesäcke in die Hand gedrückt. „Können wir?“, lautet die Frage ans Team. Ein kurzes „Jooh“, die Drohne hebt ab und fliegt Richtung Wiese.

Die Drohne zu fliegen, erfordert einen speziellen Führerschein und hohe Konzentration.

36 Stunden vor der Mahd müssen die betreffenden Flächen gemeldet werden. Da es sich im rechtlichen Sinne um eine Jagdausübung handelt, muss ein Jagdausübungsberechtigter vor Ort sein. Der Landwirt darf diese Maßnahme nicht selbst ausführen, muss aber Helfer für die Bergung der Tiere stellen. An dieser relativ kleinen Wiese ist das Team alleine. Der erste Hinweis des Co-Piloten: Ein weißer Punkt ist auf dem Display zu sehen. Radeke geht mit der Drohne etwas tiefer und schaltet das Display auf den Bildmodus um. Falscher Alarm – nur Sauerampfer mit seinen großen Blättern. Nächste Meldung: „Da könnte was sein.“ Wieder Entwarnung: „Nein, ein Fuchs. Der macht sich aus dem Staub“, erkennt Herbst.

Doch dann: Das Team meint, fündig geworden zu sein. Werner Wiegmann läuft mit dem Kescher vorweg zur besagten Stelle. Immer über Walkie-Talkie mit dem Piloten verbunden, wird Wiegmann exakt herangeführt. Aber: Die Jutesäcke kommen nicht zum Einsatz, erneut ein Fehlalarm, der vermeintliche Fund entpuppt sich als großer Maulwurfshaufen. „Das kommt häufig vor“, sagt Wiegmann, er ist die Situation gewohnt.

„Heute Morgen ist das Gras relativ trocken. Manchmal bin ich bis zu den Hüften nass“, sagt Wiegmann. Das erklärt auch seine passende Kleidung. Weiter geht‘s zur nächsten Fläche. Die Drohne kreist in 60 bis 70 Metern Höhe. In der Nähe eines Knicks – einer Wallhecke – wird ein Reh aufgeschreckt. Ein Kitz wird aber nicht gefunden. Die Mission auf diesem Grün ist beendet.

Beim Einsatz müssen die Kitzretter gut zu Fuß sein und auch schon mal einen Zaun oder Graben überwinden.

Im Auto auf der Fahrt ins Revier Intschede erklärt Radeke, dass die Jutesäcke für die Verwahrung der Kitze bis zum Ende der Mahd dienen. „Die Säcke haben sich bei uns bewährt“, so der Hegeringleiter. In ihnen werden die Kitze an schattigen Plätzen außerhalb der Mähfläche abgelegt. Die Jungtiere sind vom Landwirt oder der jagdausübungsberechtigten Person unmittelbar nach der Mahd, spätestens nach sechs Stunden, freizulassen.

Radeke (r.) und Herbst schauen der Drohne nach.

Das Team ist in Intschede angekommen. Revierpächter Arndt Promies wartet schon. Es geht an die Weser. Gleiches Prozedere zur Vorbereitung wie in Morsum. Die Fläche ist unübersichtlich und erstreckt sich über rund 500 Meter entlang der Weser. Hier ebenso kein Fund, wie auch beim letzten Schlag in der Nähe des Schöpfwerkes. Einpacken, das war‘s. Die Landwirte können mähen. Der erste ruft auch schon an und fragt, ob er loslegen kann. „Ja, kannst du, nichts gefunden“, so die knappe Antwort von Radeke, der anschließend Kontakt zum zweiten Team aufbaut, das in Ritzenbergen und Hiddestorf unterwegs war – und auch kein Kitz gefunden hat. Radeke hätte schon gerne gezeigt, wie eines der Tiere sanft mit einem großen Büschel Gras in den Händen in den Sack befördert wird. Das Gras dient dazu, dass das Kitz keinen menschlichen Geruch annimmt und von seiner Mutter wieder angenommen wird.

Ein möglicher Fund: Werner Wiegmann geht vorweg.

Alles verstaut, Rückfahrt zum Treffpunkt. Es ist kurz vor 7 Uhr. Was bleibt, ist ein riesengroßer Respekt vor den vielen Menschen, die sich früh morgens in der Kitzrettung einsetzen. Denn mal eben so ist die ganze Rettungsaktion nicht durchführbar. Das fängt mit der Ausbildung für den speziellen Drohnenführerschein und zum Co-Piloten an, und gut zu Fuß sollte man auch sein. Aber es lohnt sich, denn die Arbeit ist eine Win-Win Situation – für die Natur und die Landwirte.

Für die Deckung der laufenden Kosten, etwa für Akkus oder Verschleißteile, ist das Team für einen Anerkennungsobolus dankbar. „Der wird auch von den Landwirten gerne bezahlt. Ein totes Kitz im Futter kommt den Landwirt viel teurer zu stehen als der Obolus“, erklärt Radeke auf der Rückfahrt. Die Ausrüstung der Kitzretter kostet einige Tausend Euro. Es muss ein spezielles, hochauflösendes Display sein, auf dem Co-Pilot Wilfried Herbst eventuelle Kitze erkennen können muss – bei deren geringer Größe schwer genug. Finanzielle Unterstützung für die Technik wünscht sich das Drohnenteam, und ist auf der Suche nach einem großzügigen Spender.

Die Kitzretter verabschieden sich. Der ein oder andere holt sich frische Brötchen vom Bäcker und lässt sich zu Hause den verdienten Kaffee schmecken.

HEINER ALBRECHT

Fotos: Heiner Albrecht