Landkreis Verden. Der Beschluss der EU-Kommission, dass ab 2023 in ganz Europa mindestens vier Prozent der Ackerfläche stillgelegt werden müssen, hat auch im Landkreis Verden Unverständnis und Kritik hervorgerufen. Landwirte sollen in Deutschland diese Flächen ab Herbst 2022 nicht mehr beackern und einsäen, um EU-Direktzahlungen zu erhalten, die sogenannte Einkommensgrundstützung. Da dies auch das Anlegen von sogenannten Blühstreifen einschließt, die besonders Bienen, Hummeln und anderen Insekten Nahrung liefern, sehen hiesige Imker und Landwirte die Zukunft entsprechender Projekte im Landkreis gefährdet.
Welche Projekte gibt es im Landkreis Verden?
Seit Januar 2016 ist die Verdener Imkermischung auf dem Markt, die der engagierte Imker Heinrich Kersten aus Eissel gemeinsam mit Landwirten entwickelt hat. Die spezielle Saatmischung lässt etwa ein Dutzend verschiedene Pflanzenarten sprießen und vor allem blühen, etwa Senf, Klee, Phacelia und Sonnenblumen. Mit dieser Saatauswahl soll bewusst ein Nektar- und Pollenangebot für die Bienen und Wildbienen nach der Rapsblüte bis in den Herbst sichergestellt werden, „damit die Bienenvölker optimal versorgt und vital in den Winter gehen“. Laut Kersten wird die Imkermischung aktuell auf etwa 550 bis 600 Hektar Fläche im Landkreis Verden angesät. Die Imkermischung hat auch international Interesse hervorgerufen, 2017 waren Besucher aus China im Landkreis zu Gast, um sich zu informieren. 2020 hat Kersten gemeinsam mit der Verdener Jägerschaft zusätzlich das Blühstreifenprogramm „Frühjahrsblüte“ aufgelegt. Es soll den in der Feldflur lebenden Tieren von Herbst bis in den Sommer Nahrung und Deckung bieten und im Frühjahr nicht bearbeitet werden, um Brut und Aufzucht der Jungtiere nicht zu gefährden. Die Blüten bieten den Honigbienen und anderen Insekten bereits im zeitigen Frühjahr Nahrung, um die deutlich zurückgehenden Rapsbestände zu ergänzen. Die Basis des Saatgutes besteht aus winterharten Frühblühern, die durch weitere Blühpflanzen ergänzt werden, um eine ausreichende Deckung schon im ersten Winter und eine Blühfolge von April bis in den September zu erreichen. Bei gleicher Eignung werden standortgerechte, einheimische Blühpflanzen bevorzugt eingesetzt. Finanziert wird das Programm aus dem Hegefonds der Jägerschaft.
Was sagen die Imker?
Für Heinrich Kersten ist mit dem EU-Beschluss das Ende des Blühstreifenpro-gramms gekommen. „Wenn auf diesen Flächen eine Aussaat bienenfreundlicher Pflanzen nicht mehr erlaubt ist, werden auch die Landwirte Nachteile in Kauf nehmen müssen“, ist Kersten überzeugt. Denn die Teilnahme an dem Blühstreifenprogramm habe sich für die Bauern auch finanziell gerechnet. „Sie bekommen das Saatgut von der Jägerschaft kostenfrei gestellt und erhalten eine Flächenprämie von 650 Euro pro Hektar im ersten und 800 Euro pro Hektar im zweiten Jahr“, so Kersten. Er kritisiert, dass die EU durch die neue Regelung zwar Naturbrachen für Flora und Fauna schaffen wolle, dies nach der aktuellen Umsetzung aber auf Kosten der Bienen und anderer Insekten gehe. „Die Auswirkungen werden schon in diesem Jahr zu sehen sein, denn ab Ende Juni werden die Flächen abgeerntet, und die Landwirte müssen dann die Weichen stellen, wie es weitergehen soil.“
Wie argumentieren die Landwirte?
Jörn Ehlers aus Holtum (Geest) vertritt die Interessen seiner Kolleginnen und Kollegen als Kreislandwirt und Vizepräsident des niedersächsischen Landvolks. Er erwartet, dass die Teilnahme der Bauern an den freiwilligen Agrarumweltprojekten durch den EU-Beschluss stark abnehmen wird. „Der Beschluss bewirkt aus meiner Sicht eine Verschlechterung der Lage. Es geht ja offenbar darum, Niederwild und Bodenbrüter durch die Brachflächen zu unterstützen. Das hätten wir mit den Blühflächen auch erreicht, ohne die negativen Auswirkungen für die Insekten“, erklärt Ehlers. Er geht davon aus, dass nahezu alle Landwirte von der Vorgabe betroffen sind, denn die Grenze für die Mindestflächengröße sei sehr niedrig angesetzt. „Es sei denn, der Betrieb steigt aus dem ganzen Fördersystem aus. Das haben auch bei uns schon ein paar Kollegen getan, beispielsweise Betriebe, die überwiegend Mais für Biogasanlagen anbauen. Für die lohnt sich die Förderung nicht“, sagt Ehlers. Diese Betriebe müssten noch die gesetzlichen Vorschriften einhalten, aber nicht mehr die Bestimmungen, was Fruchtfolgen und ähnliche Dinge angehe. Neben dem Thema Artenvielfalt sei aktuell aber auch durch den Krieg in der Ukraine die Frage der Nahrungssicherheit in aller Munde. Deshalb sei es fragwürdig, die Flächen nicht zu nutzen. „Wir wissen nicht, wie lange der Engpass andauert. Es wäre deshalb sinnvoll, die Flächen für den Anbau von Nahrungsmitteln zu nutzen, bis sich die Lage entspannt hat“, betont der Kreislandwirt.
Was bedeutet die Umsetzung für die Landwirte konkret?
Beispiel Weizen: Die Felder werden im kommenden August abgeerntet, Ende September müsste der neue Weizen gesät werden. Da der Flächenanteil nach der neuen Regelung ab 2023 aber nicht mehr bewirtschaftet werden darf, kann der Weizen in diesem Jahr nicht mehr angesät werden. Die vier Prozent Flächen liegen also schon ab diesem Herbst brach. Im Landkreis Verden gibt es laut Jörn Ehlers etwa 40.000 Hektar Ackerflächen. Vier Prozent müssen stillgelegt werden, also 1600 Hektar. Der Holtumer bewirtschaftet mit seiner Familie 240 Hektar mit Raps, Getreide, Mais und Ackerbohnen. „Das heißt für uns, dass wir fast zehn Hektar nicht mehr nutzen können“, so Ehlers. Er habe für 2023 wegen des EU-Beschlusses bislang keinen Antrag auf Blühflächen gestellt. „Erst mal sehen, wie es sich weiter entwickelt.“