17.02.2022 VAZ: Drei Nahbegegnungen in fünf Tagen

Wolfssichtungen bei Verden / „Gefährdungslage" / „Schreiend davongelaufen"

Ein Wolf im Kreis Verden Quelle: privat

VON HEINRICH KRACKE

Verden – Die Begegnungen mit dem Wolf haben eine neue Dimen­sion erreicht. Sie seien schreiend davongelaufen, ein Wolfsduo hin­ter ihnen her, berichten zwei Frauen aus Borstel. Schutz fanden sie erst, als die nächste Wohnsiedlung erreicht war und sie hinter ei­nem geparkten Auto so etwas wie Zuflucht fanden. Bis auf sechs Meter hätten sich die Tiere genähert. Nicht die erste Sichtmeldung, die Wolfsberater Helmut Meyer an den vergangenen Tagen er­reichte. Nachdem wie berichtet kurz zuvor ein Isegrim durchs Ge­werbegebiet Finkenberg gestreunt war, stuft er die Ereignisse von Borstel jetzt als „Gefährdungslage“ ein. Eine nächste Nahbegegnung ereignete sich den Angaben zufolge Dienstagabend erneut in der Gegend östlich von Verden, wieder diesseits der Autobahn, jetzt in Weitzmühlen.

Ein ganz normaler Sonntagabend. Der Tatort im Fernsehen gerade vorbei, als die beiden Frauen in der Feldmark bei Borstel unterwegs waren. Einen Hund führten sie an der Leine, genaugenommen eine Brandlbracke-Hündin, einen sogenannten Jagdhund. „Wir waren Gassigehen“, berichteten sie hinterher. Im Mondlicht erkannten sie die beiden Wölfe auf freiem Feld. Und erschraken heftig. „Sie näher­ten sich sehr schnell.“ Erst als sich Hund und Frauchen hinter dem Auto verschanzt hatten, ließen die Wölfe ab und trotteten von dannen.

Wolfsberater Meyer schreibt diese Begegnung eher Jungtieren zu. „Darauf deuten die Aussagen der Frauen hin, es soll sich erkennbar um nicht ausgewachsene Wölfe gehandelt haben.“ Da sei der Spiel­trieb zum Tragen gekommen, eventuell auch die Neugier, vielleicht hätten sie nur die Hündin laufen sehen. „Ein Altwolf jedenfalls hätte sich eher nicht die Mühe gemacht. Das sind Berufsjäger, sie wissen, was zu tun ist, und was nicht.“

Anders gelagert offenbar der Fall vom vergangenen Dienstag. Gegen 18.20 Uhr war in der Weitzmühlener Feldmark ein Jäger mit Hund unterwegs, als das Ungewöhnliche geschah. Der Wolf näherte sich den Angaben zufolge bis auf zehn Meter, der Jäger nahm seinen Teckel hoch, er entschied sich laut rufend und mit erhobenen Armen dem Wolf entgegenzugehen. Das habe offenbar beeindruckt. Der Grauhund habe gestutzt, er sei abgedreht, er entfernte sich. Zu ei­ner dritten Begegnung kam es wie berichtet vergangenen Freitag. Morgens gegen 9 Uhr meldeten zwei Frauen unabhängig voneinan­der eine Wolfssichtung an der Kopernikus-Straße im Gewerbegebiet Finkenberg. Der Grauhund überquerte die Fahrbahn und entfernte sich über eine Freifläche in Richtung Weitzmühlen, heißt es weiter. Eine Verkehrsteilnehmerin ergänzte, der Wolf sei sichtlich verletzt, er habe gehinkt. Ein Autofahrer hatte das Überqueren der Straße vorm Fahrzeug aus per Video festgehalten.

Unklar noch, woher die vierbeinigen Besucher stammen. Eine Mög­lichkeit sei das Stemmener Rudel, das zwar wissenschaftlich noch nicht belegt sei, durch Beobachtungen von Jägern aber immer wie­der bestätigt werde. Bei den Jungwölfen von Borstel schloss Meyer

eine Zugehörigkeit zum Stemmener Familienverbund allerdings eher aus. „Eigentlich ist die Zeit für eine Trennung der jungen Tiere von der Altherde noch nicht reif.“ Das Tier von der Nikolaus-Kopernikus-Straße stufte er in die Kategorie „gestandener Wolf“ ein. Aus­sagen zum Wolf von Weitzmühlen liegen nicht vor.

Nach Meyers Einschätzung leben in seinem Bereich im Raum Verden drei stationäre Wölfe. Neben dem Stemmener Rudel mit wahr­scheinlich einer Handvoll Tiere sei in Haberloh ein Wolfspaar doku­mentiert und ein weiteres Duo im Raum Kükenmoor/Nerdenermoor. Gut möglich aber auch, dass es sich bei den drei aktuellen Sichtungen um durchziehende Vierbeiner han­dele. „Sie legen bis zu 50 Kilometer pro Nacht zurück.“ Noch be­trachte er die Nahbegegnungen als Einzelfälle, „zum Glück Einzel­fälle“, Hinweise auf einen Problemwolf sehe er nicht. Aber das sei auch nur eine Momentansicht, was im nächsten Augenblick pas­siere, könne niemand absolut sicher vorhersagen.

Wie weit der nächtliche Besucher sein Revier in den Raum des Men­schen zieht, lasse sich nicht schlüssig sagen. Selbst Bereiche wie der Stadtwald, der sich zum vielbesuchten Naherholungsgebiet entwi­ckelt habe, gerade in Corona-Zeiten, selbst für solche Gebiete könne er seine „Hand nicht ins Feuer legen“. Ein Gastspiel des Wolfes sei zwar unwahrscheinlich, aber es sei auch nicht völlig auszuschließen. „Sie sind schnell unterwegs, sie sind auch neugierig.“

Sollte es wo auch immer zu einer Nahbegegnung kommen, emp­fehle er ein umsichtiges, vorsichtiges Vorgehen. „Wölfe sind nicht generell gefährlich, sie sind aber auch keine Kuscheltiere.“ Wem ein Tier nahekomme, dem sei empfohlen, sich groß zu machen. „Wer wegläuft, erzeugt noch mehr Aufmerksamkeit, er weckt vielleicht so­gar den Beutetrieb“, so Meyer. Eine nächste Maßnahme sei, laut zu werden.

Vieles sei auch vom Charakter des Menschen abhängig. Nicht jedem sei gegeben, wie kürzlich eine Frau in Bommelsen im Heidekreis re­agierte. Ein ganzes Rudel habe sich genähert, mehrfach heulten die Tiere. Die Frau habe sich aufgebaut, sie habe mit einer Hundeleine gezwirbelt, sie sei laut geworden, sie habe so etwas, was in Richtung Scheinangriff ging, ausgeführt. Diese Maßnahme habe dazu geführt, dass sich das Rudel verzog.